KI und Recruiting

So geht Bewerben in 
einer digitalen Welt

Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Berufswelt – schon heute und erst recht morgen. Doch nicht nur Jobs und Arbeitsplätze wandeln sich, auch das Bewerben und Recruiting. 
mein.job hat Expert*innen gefragt, 
was du für deinen Karrierestart wissen und beachten solltest. 

Text Barbara Gärtner, Daniela Schuster

Das Forschungsprojekt ai:conomics hat Ende 2021 erhoben, wie sich künstliche Intelligenz (KI) auf Arbeit und Beschäftigte auswirken wird. Noch vor dem breiten Einsatz von ChatGPT und Co. war das kaum überraschende Fazit: KI wird die Arbeitswelt stärker, vielfältiger und schneller verändern als alle bislang da gewesenen Innovationen – von der Dampfmaschine bis hin zur Robotisierung. Während bisherige Technologiesprünge unsere Arbeit „nur“ durch die Übernahme einfacher Routinetätigkeiten erleichterten, kann KI auch bei analytischen und komplexeren Aufgaben unterstützen und schon heute mehr Aufgaben in den unterschiedlichsten Berufen und Branchen übernehmen als frühere Technologien.
 
Technologiefolgen schwer abschätzbar
Auf einem Symposium der Academy for Continuing Education (ACE) im TUtheSky Ende Juni verwies Speaker Johannes Kopf, Vorstand der AMS Österreich Bundesgeschäftsstelle, auf eine Studie, nach der etwa zwei Drittel der derzeitigen Arbeitsplätze einem gewissen Grad an KI-Automatisierung unterworfen sind. Die generative KI könne, so Kopf, bis zu einem Viertel der derzeitigen Arbeit ersetzen, ein Äquivalent von 300 Mio. Vollzeitarbeitsplätzen weltweit. Besonders betroffen: Buchhalter*innen, Mathematiker*innen, Dolmetscher*innen, Programmierer*innen und Journalist*innen. 
In welchem Ausmaß sich der KI-Einsatz aber genau auswirken wird, ist unklar. „Die Folgen der Technik auf die Gesellschaft lassen sich nicht so einfach abschätzen. Expert*innen schätzen aber, dass generative KI-Systeme einen ähnlichen disruptiven Effekt haben wie zuvor Social Media“, so Sabine Köszegi, Professorin und Leiterin des Fachbereichs „Arbeitswissenschaft und Organisation“ an der TU und Mitglied des Fachbeirats für Ethik der künstlichen Intelligenz der UNESCO-Kommission Österreich. 

Angst vor der Job-Zukunft?
Die ai:conomics-Wissenschaftler*innen beruhigen etwas: „KI kann auch völlig neue Berufe hervorbringen, etwa Spezialist*innen, die qualitativ hochwertige Datengrundlagen für die Entwicklung und den Betrieb von KI schaffen. Zudem reichen KI-Systeme bislang nicht an die Intelligenz des Menschen heran, vor allem wenn es um Aufgaben geht, die ein hohes Maß an zwischenmenschlichen und sozialen Kompetenzen oder eine ausgeprägte Kreativität erfordern. Diese sind z. B. gefragt, um Probleme zu lösen, Arbeitsinhalte und Ergebnisse zu kommunizieren oder in interdisziplinären Teams zusammenzuarbeiten“, so die Expert*innen. 
„Dass Automatisierung natürlich problematisch ist hinsichtlich Qualifikationsverlust, haben wir bereits in früheren Automatisierungsstufen gesehen. Das Problem: Bildungseinrichtungen bereiten auf eine industrialisierte, nicht auf eine postindustrielle Gesellschaft vor“, sagt Sabine Köszegi. „Divergentes Denken, Kommunikations- und Teamfähigkeit, soziale und emotionale Kompetenzen, Kreativität, Führung, Entrepreneurship, Innovation – der Erwerb dieser Fähigkeiten wird ein zentraler Faktor für künftige Arbeitskräfte sein.“ Wie sich die Lehre dafür (weiter) verändern und an die neuen KI-Gegebenheiten anpassen muss, kannst du im Artikel auf Seite 21 nachlesen. Workshops des TU Career Center setzen bereits hier an und helfen dir beim Aufbau der in der neuen KI-Welt gefragten wichtigen (Soft) Skills.



Anpassungsdruck im War of Talents
Bevor du deine Talente – möglicherweise unterstützt von KI – jedoch im Job einbringen kannst, wirst du der KI wohl schon vorher einmal „begegnen“. Denn auch ins Recruiting hat die KI Einzug gehalten. Lukas Genßler, inzwischen Senior Consultant bei zeb consulting, hat sich für seine Abschlussarbeit an der TU Wien mit Virtual Recruiting befasst. Er schreibt: „Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt wie der ,War for Talents‘ zwingen Arbeitgeber dazu, ihre Rekrutierungs-Praktiken anzupassen. (…) Man kann sicher sein, dass der Einsatz von digitaler Technologie und KI im Recruiting zunehmen wird (…). Die Automatisierung erleichtert Verwaltungsaufgaben, virtuelle Umgebungen helfen, ansonsten analoge Rekrutierungsaktivitäten in einem digitalen Umfeld durchzuführen, neue Kommunikationsmittel beschleunigen den Rekrutierungsprozess und erhöhen seine Flexibilität.“

„Bewerber*innen, die erwartbar, strukturiert und standardmäßig relevante Infos präsentieren, haben bessere Chancen. Kreativität und Individualität sollte man sich aufheben für Menschen, die das dann auch entsprechend einordnen können. Im Bewerbungsprozess sollte man damit rechnen, dass professionell gestaltete Videos verlangt werden, und dass Simulationsspiele Teil des Recruitings sein können. Die Skills, die man braucht, um sich gut zu präsentieren, kann man trainieren. Wichtig auch: Die eigenen, öffentlich zugänglichen Profile in den Social-Media-Kanälen genau anschauen und Inhalte rausnehmen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“ 

Bewerben im KI-Zeitalter 
Tipps von TU-Prof. Sabine Köszegi
Foto: © Luiza Puiu

Noch ATS …
Es ist oft nicht leicht, KI von „einfacher“ Automatisierung abzugrenzen. „Wenn ein Unternehmen nur wissen will, welche Bewerber*innen welche Kriterien erfüllen, reicht eine Datenbankabfrage“, erklärt Arbeitswissenschaftlerin Sabine Köszegi. In der Praxis kommen dafür schon seit Längerem klassische Algorithmen zum Einsatz, um etwa eine Bewerbung auf Qualifikationen zu scannen und sie mit dem Anforderungsprofil der Stelle abzugleichen. Ein Abschluss in Informatik ist erwünscht, Spanisch erforderlich? Dann kommt auf die Absageliste, wer das (noch) nicht vorweisen kann. Im Ranking ganz vorne landen hingegen all jene, die die gesuchten Schlüsselbegriffe im CV verpackt haben. 
Laut einer Befragung des Institute for Competitive Recruiting nutzen 70 bis 80 % der deutschen Unternehmen solche Bewerbermanagement-Systeme, auch „Applicant Tracking Systems“ (ATS) genannt. Für Österreich dürften die Zahlen bald ähnlich ausfallen.Auf Seite 12 findest duTtipps von Julia Stift, wie du deine Bewerbung ATS-konform gestalten solltest.

… oder schon KI?
Im Gegensatz zu ATS greift eine KI auf alle verfügbaren Daten zu, die der Arbeitgeber von seinen Mitarbeiter*innen gesammelt hat – von CVs bis hin zu Social-Media-Profilen. 
Damit man KI-Systeme überhaupt sinnvoll einsetzen kann, braucht es natürlich die entsprechenden Daten im Unternehmen und: eine gewisse Unternehmensgröße. Konzerne wie Johnson & Johnson oder Procter & Gamble, die in den USA KI-Systeme fürs Hiring einsetzen, haben unzählige Mitarbeiter*innen, bekommen pro Jahr Zigtausende Bewerbungen und haben riesige Datenbanken. 
In diesen identifizieren sie ihre erfolgreichsten Mitarbeiter*innen und auch jene, die nicht gut performen beziehungsweise schnell wieder gekündigt wurden. „Dann können sie der KI sagen: Lerne, worin sich die Mitarbeiter*innen unterscheiden und aus den Daten zu klassifizieren. Irgendwann kann das KI-System dann eine Trainingsgruppe korrekt in ideale und schlechte Mitarbeiter*innen einteilen, wenn immer wieder entsprechend nachtrainiert wird. Am Ende kann man der KI dann CVs oder Profile von Bewerber*innen oder potenziellen Kandidat*innen geben und fragen: Sind das gute künftige Mitarbeiter*innen oder nicht?“, so Köszegi. 
Aus vergangenen Hiring-Erfahrungen werden also prädiktive Systeme für die Personalauswahl und -selektion entwickelt, um künftige Leistungen und künftiges Verhalten auf Basis von vergangenen Daten vorherzusagen. Unproblematisch ist das nicht: „Denn diese Systeme setzen voraus, dass sich die Zukunft genauso gestaltet wie die Vergangenheit. Und man gesteht jemandem auch keine disruptiven Veränderungen zu, individuelle Besonderheiten sind nicht berücksichtigt.“ 

Einsatz im Bewerbungsprozess
Bei kleineren Unternehmen kommt die KI vor allem im Sourcing zum Einsatz: „Auf einschlägigen Plattformen wird geschaut, welche Menschen es mit welchen Skills am Arbeitsmarkt gibt und wo sich ein Match mit meinen Stellenanforderungen ergibt. Über Targeting werden dann passende Kandidat*innen angesprochen und der potenzielle Bewerber*innen-Pool vergrößert“, erklärt die TU-Professorin.
Weil der Pool größer und es zudem immer leichter wird, sich über standardisierte Formulare online zu bewerben, erhalten gerade Konzerne viele Bewerbungen. Um die HR-Abteilungen bei der Vorauswahl zu entlasten, setzt man auch hier auf Technik: „Die KI kann dann zum Beispiel aus (Video-)Bewerbungsunterlagen auf mögliche persönliche Charakteristika schließen“, erklärt Köszegi. Auch in Österreich gebe es bereits Unternehmen, in denen eine KI-Software über Face Recognition analysiert, ob eine Person bestimmte Eigenschaften hat. „Solche Systeme bauen jedoch auf veralteten Emotionserkennungs-Modellen mit hohen Fehlerquoten auf, wie dem Ekman-Modell. Das ist wie der Einsatz eines Grafologen, der aus der Handschrift Charaktereigenschaften ableitet.“ 
Weiters wird KI bereits für Simulationen eingesetzt, um Bewerber*innen in virtuellen Planspielen oder konkreten Jobsituationen zu „testen“. „Auf diese Weise kann man über ein relativ realistisches Szenario eine Arbeitsprobe nehmen“, erläutert die Professorin. Auch das sieht sie aber kritisch: Denn dadurch würden Personen aussortiert, die keine Affinität zu Technik hätten, aber vielleicht dennoch die gesuchten Qualifikationen mitbringen. 

Trends: Active Sourcing und Screening

Aufgrund der erwähnten Probleme setzen die meisten Firmen in Österreich bei der Automatisierung des Recruiting- und Bewerbungsprozesses noch auf ATS statt KI. Die von Lukas Genßler im Rahmen seiner Abschlussarbeit interviewten Firmenvertreter*innen erwarten jedoch für die nahe Zukunft, „dass künstliche Intelligenz eingesetzt wird, um aktiv in Online-Karriere- und Networking-Plattformen nach Personen zu suchen, die als besonders geeignet für offene Stellen gelten. Damit kann ein verbessertes Targeting der Stellenausschreibung erreicht werden“. Auch das Screening und die Vorauswahl wurden häufig als Bereiche genannt, in dem Automatisierung und künstliche Intelligenz zur Verbesserung des Prozesses beitragen können. 
Die KI ist also auch in österreichischen HR-Abteilungen auf dem Vormarsch. Zumal das Setzen auf ATS oft dazu führt, dass Lebensläufe „ATS-optimiert“ erstellt werden, schlussendlich Bewerbungen also alle sehr ähnlich sind und individuelle Stärken in den Hintergrund treten. Smarteres Job-Matching mit KI soll das ändern. 

Beispiel aus der Recruiting-Praxis

Bei der MM Group kommt zum Beispiel seit April 2023 im Recruiting Eightfold zum Einsatz, ein KI-Talent-Acquisition-Tool „designed for experience“. Die Benefits? „Zum einen können wir den Bewerber*innen eine kandidatenzentrierte Journey anbieten mit einfachem Bewerbungsprozess. Zum anderen ist es für unsere Hiring-Manager*innen und Talent Advisors intern möglich, schnell erkennen zu können, was der Kanditat*innen-Pool hergibt und was zum Beispiel Related Skills sind“, so Eva Edelmüller, Head of Group Talent Attraction & Talent Management. 
Grundsätzlich arbeitet die KI im Hintergrund. Das startet schon, wenn sich Kandidat*innen bewerben: „Er oder sie kann einfach seinen oder ihren CV hochladen und die KI schlägt auf Basis des Lebenslaufs passende Jobs vor. Auf diese kann man sich dann konkret bewerben. Das Matching erleichtert die Bewerbung.“ Dieses Matching gibt es auch auf Recruiter*innen-Seite. „Wir schreiben Jobs online aus und bekommen von der KI zu diesen Stellen passende Kandidat*innen gematcht. Natürlich nur von Bewerber*innen, die bei uns im Pool sind, d. h. die sich schon einmal beworben haben.  Mit ihnen können wir dann in Kontakt treten.“ Und auch bei der Active Search kann die KI unterstützen: So gibt es z. B. ein Plug-in für LinkedIn, „wo uns Bewerber*innen, die ihr Profil öffentlich gestellt haben, zu Jobs vorgeschlagen werden“.

„Beim Test des KI-Systems haben wir anonymisierte CVs hochgeladen. Alle sind erkannt und korrekt ausgelesen worden – unabhängig von der Formatierung. Dennoch sind klassische Schriften wie Calibri oder Arial von Vorteil – allein schon für die Recruiter*innen. Sie sehen sich nach wie vor alle hochgeladenen Dokumente an und lassen die Gestaltung bzw. die Selbstpräsentation der Kandidat*innen auch in das Gesamtbild einfließen. Aus der Skills-Liste sollte hervorgehen, was Bewerber*innen außer Studium, Praktika und Berufserfahrung zu bieten haben. Etwa: Wahlfächer, Excel, Powerpoint, Projektmanagement-Zertifizierung …  ,Was kann ich, was mach ich gern, was fällt mir leicht‘ – diese Punkte sind wichtig fürs Gesamtbild.“

Bewerben im KI-Zeitalter
Tipps von HR-Expertin Eva Edelmüller, MM Group
Foto: © Martin Lifka Photography

Was kann KI-Recruiting bringen?
Das erste Feedback von Recruiter*innen wie Bewerber*innen zum KI-System ist positiv. „Der Bewerbungsprozess wurde von den Kandidat*innen mit 4,7 von 5 Sternen bewertet. Die Userfreundlichkeit ist sehr hoch“, sagt Edelmüller. Dadurch konnte die Bewerbungsquote im Vergleich zum Vorjahr um 20 % 
erhöht werden bei gleicher Anzahl zu besetzender Positionen. 
Seit das System live ist, wurden je 50 % Frauen und Männer eingestellt. „Davor war für Österreich die Frauenquote viel niedriger.“ Den Grund für das vermehrte Hiring von Frauen sieht Edelmüller in der KI: „Das Tool kann objektiver arbeiten. Es zieht Skills aus den CVs heraus und schlägt Frauen für Positionen vor, auf die sie sich vielleicht von selbst nicht bewerben würden. Typisches Bild: Männer erfüllen 50 % der gefragten Skills und bewerben sich, Frauen erfüllen 80 % 
und bewerben sich nicht. Die KI optimiert mir das.“ 
Zudem könne die KI, so Edelmüller, Skills auch aus Angaben zur besuchten Uni oder bisherigen Jobtiteln ableiten. „Das hilft den Recruiter*innen zu erkennen, was Synonyme für gesuchte oder ähnliche Skills sind.“ Und auch die „Time to hire“ konnte im Vergleich zum Vorjahr um 20 Tage verkürzt werden. „Das ist extrem viel“, betont die Expertin. 

„Pass deinen Lebenslauf möglichst genau an die Stellenausschreibung an und baue die gesuchten Schlüsselbegriffe ein – ausgeschrieben plus in der branchenüblichen Abkürzung. Erstelle ein einfaches Layout. Keine Spielereien, dafür Standardschriften und simple Überschriften über den Abschnitten. Statt „Was ich schon gemacht habe“ heißt es „Arbeitserfahrung“.  Beachte die Formatwünsche und Vorgaben des Unternehmens. Schick keine Tabellen oder Grafiken, wenn das nicht ausdrücklich erwähnt wurde. Und nutze keine Kopf- oder Fußzeilen, dort geht wichtige Info eventuell verloren. Ein No-Na: Achte auf korrekte Rechtschreibung und Interpunktion. Ein No-Go: Tricksen. Finger weg von dem im Netz kursierenden Trick, Schlüsselqualifikationen, die man nicht mitbringt, reinzuschreiben oder gar mit weißer Schrift auf weißem Grund in der Bewerbung unterzubringen. Ein derartiges Frisieren der Unterlagen ist „arglistige Täuschung“ und kann sogar eine rückwirkende Auflösung des Arbeitsvertrags nach sich ziehen.“


Bewerben im Zuge von ATS 
Tipps von TUCC-Beraterin Julia Stift
Foto: © pp_media

Zertifizierungen fehlen noch
Trotz positiver Resonanz wird der Einsatz von KI im Recruiting durchaus auch kritisch gesehen. „Die Anwendung von KI und digitalen Technologien im Recruiting bringt viele zusätzliche Herausforderungen“, schreibt etwa Lukas Genßler in seiner Abschlussarbeit. „Natürlich können durch Automatisierung und KI-Einsatz im Recruiting Zeit und Kosten gespart werden. Darüber hinaus finde ich das Modell des KI-Recruitings insgesamt aber nicht überzeugend“, so TU-Professorin Sabine Köszegi. „Vor allem, weil alles im Moment noch weitgehend unreguliert abläuft.“ 
Dabei sind Tools, die für Einstellung oder Auswahl von Personen verwendet werden sollen, z. B. das Sichten oder Filtern von Bewerbungen und das Bewerten von Bewerbern in Vorstellungsgesprächen oder Tests, als Hochrisiko-KI-Systeme qualifiziert – mit einer Reihe von Rechtsfolgen. In der EU wird gerade eine „KI-Verordnung“ verhandelt, der sogenannte „AI Act“. „Der Act sagt, dass KI-Systeme überall dort, wo Mitarbeitende egal in welcher Form betroffen sind – sei es durch Personalentscheidungen, Tracking oder die Analyse biografischer/biometrischer Daten, eine Zertifizierung durchlaufen müssen“, erklärt Köszegi. 

Rechtliche Probleme: Bias bis Datenschutz
Bis es so weit ist, greifen bestehende Gesetze, um die vielen Grundrechtsprobleme, die im Zusammenhang mit dem KI-Einsatz auftreten, zumindest abfangen zu können. Tobias Tangl, Rechtsanwalt bei der Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH, fasst sie hier zusammen. Ein ausführliches Interview mit ihm gibt es auf tucareer.com. 
Punkt 1: der Datenschutz: „In diesem Bereich greift die DSGVO“, so Tangl. Daten, die für den Bewerbungsprozess nicht relevant sind, dürfen nicht erhoben werden. Und erhobene Daten dürfen ohne Zustimmung nicht unbegrenzt gespeichert, sondern sollten nach sechs Monaten gelöscht werden. Zweitens: Diskriminierung aufgrund einer möglichen KI-Bias. „Hier lässt sich die bestehende Rechtslage wohl gut auf die neuen Möglichkeiten anwenden. Wird eine KI zur Entscheidungsvorbereitung herangezogen, darf klarerweise nur nach erlaubten Kriterien vorsortiert werden, z. B. ob Kandidat*innen über die gewünschten Programmierkenntnisse verfügen“, erklärt der Experte. Der aktuelle Entwurf der KI-Verordnung (AI Act) nimmt Anti-Diskriminierung mehrmals auf. Das Reglungsziel: konkrete Anforderungen zur Minimierung des Diskriminierungsrisikos durch Algorithmen aufzunehmen, vor allem in Bezug auf Entwurf und Qualität von für die Entwicklung von KI-Systemen verwendeten Datensätzen. Tests, Risikomanagement, Dokumentation und menschliche Aufsicht sollen über die gesamte Lebensdauer von KI-Systemen hinweg verbindlich vorgeschrieben werden.
Punkt drei betrifft den Einsatz Emotionserkennungssoftware: „Ein Verbot der Erkennung von menschlichen Emotionen mit KI-Tools am Arbeitsplatz soll in die finale Fassung des Gesetzes eingepflegt werden. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Schutz der Arbeitnehmer auch auf den Bewerbungsprozess beziehen würde.“ Problembereich vier ist die Reichweite der KI-Entscheidungsgewalt: „Ähnlich wie bei der automatisierten Datenverarbeitung per se sieht das Gesetz die (ausschließlich) automatisierte Entscheidungsfindung grundsätzlich als verboten an, und nennt jene Bedingungen, unter denen sie doch erlaubt ist. Abgrenzend dazu sind einfache Vorselektionen, bei denen eine Software unterstützt, unter den gewöhnlichen DSGVO-Grundsätzen erlaubt.“ Die Grenze zwischen automatisierter Entscheidung und einem Decision Support System ist jedoch oftmals schwierig zu ziehen.

Problemvermeidung in der Praxis
Wie letzterer Punkt in der Praxis gehandhabt wird, erklärt Eva Edelmüller: „Wir haben bei MM Group – obwohl technisch möglich – die automatische Absage von Bewerber*innen ausgeschlossen.“ Abgesagt werde durch eine Person. Das System vergebe nur einen Wert in Punkten („Match Score“) – also von 5 „relevant“ bis 0 „nicht relevant“  für den Job – und helfe dem Team so bei der Vorselektion. „Das heißt aber nicht, dass wir uns Kandidat*innen, die zum Beispiel nur zu 50 % ‚matchen‘, nicht ansehen. Denn sie könnten ja künftig für einen Job interessant sein, der noch nicht ausgeschrieben, aber angedacht ist. Das ist bei unserer Größe und Anzahl an Recruiter*innen möglich.“ 
Datenspeicherung und -verwaltung erfolgt auch bei der MM Group nach wie vor im ATS. „Hier sind wir compliant mit gesetzlichen Fristen, z. B. zur Speicherung oder Verwendung von Daten. In unserem Data Privacy Statement steht, dass unsere Vorselektion KI-gestützt ist, aber Entscheidungen nur durch einen Menschen erfolgen. Auch dass wir Daten aus Public Sources wie LinkedIn verwenden, sofern das möglich ist, Stichwort: Public Profile“, sagt Edelmüller. Auch habe man sich im Vorfeld den Bias-Report von Eightfold angesehen. „Sie arbeiten laufend an diesen Themen.“  

Maschine beurteilt Mensch: Gut oder schlecht?
Köszegi sieht das kritisch: „Viele Unternehmen, die KI-Hiring-Systeme anbieten, argumentieren, man rekrutiere effizienter und diverser. Letzteres glaube ich nicht, wegen der Bias-Problematik. Das Problem bei KI-Systemen: Sie haben keine theoretischen Fundierungen & Modelle dahinter, sondern arbeiten schlicht und ergreifend mit Korrelationen und Wahrscheinlichkeiten.“
Welch großes Problemfeld Bias-Themen sein können, zeigen Beispiele. Vor ein paar Jahren deckten Reuters-Journalisten auf, dass bei Amazon aufgrund eines fehlerhaften Datensatzes früherer Kandidat*innen, mit dem die KI trainiert wurde, weibliche Bewerber schlechter rankten als männliche. In anderen Unternehmen erwies sich der Einsatz von KI in Vorstellungsgesprächen, um Gestik und Mimik zu analysieren, als problematisch. Die Bilderkennungsprogramme schnitten bei Personen mit dunkler Hautfarbe schlechter ab. Ein „Algorithmen-TÜV“ fehlt bislang. 
Dafür, dass eine „Maschine“ die Bewerber*innenvorauswahl trifft, spricht aber zum Beispiel, dass Menschen nicht besonders gut sind, wenn es um eine unvoreingenommene Selektion geht. So haben Forscher*innen der Uni Konstanz herausgefunden, dass die Chancen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, von 42 auf 33 Prozent sinken, wenn jemand einen türkisch klingenden statt deutschen Namen hat – trotz identischen Lebenslaufs.

Zukünftige Entwicklungen
Die Entwicklung von KI im Bereich Recruiting steht erst am Anfang und es gibt Potenzial für weitere Veränderungen. Und KI ist ja nicht die einzige Neuerung, was Tools und Methoden angeht, um die passendsten Bewerber*innen zu finden und einzustellen. So zeigen etwa Studien: Nicht Lebensläufe oder Vorstellungsgespräche, sondern kognitive Tests verraten am besten, wie jemand später im Job performt. In den USA lassen große Firmen Bewerber*innen deshalb mittlerweile Computergames spielen, um ihre kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu messen. 
Eines ist aber sicher klar: KI verändert nicht nur die Jobwelt grundlegend, sondern auch die Art, wie wir uns bewerben und wie Firmen rekrutieren. Ob das zum Guten oder Schlechten sein wird? Hängt auch davon ab, wie die Gesellschaft die Veränderungen mitentscheidet und -gestaltet. HR-Expertin Eva Edelmüller ist überzeugt: „KI schafft Möglichkeiten. Wer am Ball bleibt und sich darauf einlässt, hat Vorteile.“