Mathematik wird es immer brauchen!
„Wieso ist Mathematik eigentlich noch wichtig, wenn doch
die künstliche Intelligenz immer leistungsstärker wird?“ Michael Drmota und Dirk Praetorius (TUForMath, TU Wien) geben Antworten auf diese Frage.
Text: Michael Drmota und Dirk Praetorius
Kaum eine Wissenschaft hat mehr direkten und indirekten Einfluss auf die moderne Gesellschaft als die Mathematik. Insbesondere hat sich die Informatik (als Kunstwort aus Informationstechnik und Mathematik) als Teilgebiet der Mathematik entwickelt und ist in vielen Bereichen bis heute untrennbar mit ihr verbunden.
Derzeit beobachten wir einen rasanten Anstieg der künstlichen Intelligenz (KI) in unserem Alltag. Die mediale Aufmerksamkeit für den Chatbot ChatGPT oder den Bildgenerator DALL-E haben das Thema ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Kaum ein Wissenschaftszweig profitiert nicht von der rasanten Entwicklung, erlaubt die KI doch beispielsweise die Simulation hochkomplexer technischer Prozesse auf einfache und schnelle Weise.
Ein Wegbereiter der KI war der Mathematiker Alan Turing, der auch die Konzepte von Berechenbarkeit und der nach ihm benannten Turing-Maschine erfunden hat. Ihm wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Gib genau an, worin deiner Meinung nach ein Mensch einem Computer überlegen sein soll, und ich werde einen Computer bauen, der deinen Glauben widerlegt.“
Auf einen ersten Blick mag man als treibende Kraft dahinter primär die Informatik suchen. Man darf sich aber an dieser Stelle nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass dieser imposante Fortschritt wesentlich darauf basiert, dass die bestehende Mathematik die Grundlagen gelegt hat und auch die zukünftige Weiterentwicklung der KI auf neuer Mathematik basieren wird:
1. Grundlegende Konzepte:
Viele grundlegende Konzepte der KI, wie neuronale Netze, maschinelles Lernen und Deep Learning, basieren auf mathematischen Prinzipien. Die Mathematik liefert die theoretische Grundlage, um diese Konzepte zu verstehen, zu analysieren und weiterzuentwickeln.
2. Mathematische Modelle:
Plakativ formuliert, strebt die KI danach, eine komplexe mathematische Funktion auf einfache Weise zu approximieren. Gerade in technisch-naturwissenschaftlichen Anwendungen muss man physikalische Prozesse dafür mithilfe mathematischer Formeln beschreiben – man nennt dies „mathematische Modellierung“ – und mathematisch klären, dass diese Formeln wohlgestellt sind (d. h. beispielsweise eine Lösung erlauben).
3. Algorithmisches Denken:
Die Entwicklung von KI-Modellen erfordert das Entwerfen und Optimieren von Algorithmen. Diskrete und numerische Mathematik bieten das Werkzeugset, um effiziente Algorithmen zu entwickeln, die in der Lage sind, komplexe Aufgaben zuverlässig zu lösen.
4. Datenanalyse:
KI-Modelle werden durch das Lernen aus Daten trainiert. Mathematische Methoden wie Statistik, lineare Algebra und Wahrscheinlichkeitstheorie ermöglichen die Analyse und Modellierung von Daten, um Muster zu erkennen, Vorhersagen zu treffen und Modelle zu verbessern.
5. Optimierung:
Viele KI-Anwendungen erfordern die Optimierung von Modellen, um ihre Leistung zu maximieren. Die Mathematik bietet Techniken zur Lösung von Optimierungsproblemen, die bei der Anpassung von Parametern in komplexen KI-Modellen helfen.
6. Dimensionalität und Komplexität:
In der KI begegnet man oft hochdimensionalen Datenräumen und komplexen Problemstellungen. Die Mathematik hilft dabei, diese Dimensionalität zu bewältigen und Probleme auf abstrakter Ebene zu formulieren und zu analysieren.
7. Forschung und Innovation:
Die Weiterentwicklung von KI erfordert ständige Forschung und Innovation. Die Mathematik bietet den Rahmen, um neue Modelle zu entwickeln, bestehende Modelle zu erweitern und innovative Ansätze für verschiedene KI-Anwendungen zu erkunden.
8. Robustheit und Sicherheit:
Die Mathematik erlaubt es, Einblicke in die Funktionsweise der Modelle zu gewinnen und potenzielle Schwachstellen oder Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren. Letztendlich hat sie damit auch die zentrale Rolle bei der Gewährleistung der Robustheit und Sicherheit von KI-Systemen. Nur durch sorgfältige mathematische Analyse können potenzielle Anfälligkeiten und Risiken erkannt und adäquat adressiert werden.
KI mit all ihren Einsatzmöglichkeiten (als Expert*innensysteme, Sprachübersetzer*innen etc.) verändert zunehmend unseren Alltag, unsere Ausbildung und nicht zuletzt unser Berufsleben. Wie immer bedingt so eine Veränderung Chancen und Risken. Um in einem technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld beruflich erfolgreich zu sein, ist es unerlässlich, nicht nur die entsprechenden Einsatzmöglichkeiten von KI zu kennen und zu erkennen, sondern auch deren Zuverlässigkeit bewerten zu können. Wie oben aufgezählt, erfordert dies eine fundierte Mathematikausbildung. Nur dadurch überwiegen letztlich die Chancen eines sinnvollen und zuverlässigen Einsatzes von KI – im Gegensatz zu einer unreflektierten, rein empirischen und möglicherweise fahrlässigen Verwendung.
Michael Drmota und Dirk Praetorius sind Professoren für Mathematik an der TU Wien und Teil des Gründer- und Leitungsteams von TUForMath, eines Outreach-Projekts der TU Wien. TUForMath bietet speziell konzipierte Workshops für Schulklassen sowie öffentliche Vorträge, um der Allgemeinheit auf verständliche Weise die Vielfalt, die Relevanz und die Anwendungsmöglichkeiten der Mathematik und verwandter Wissenschaften zu vermitteln.
Das Bild „Angry Gauss“ hat Frieder Simon von der University of Oxford für seinen TUForMath-Vortrag „Kann ChatGPT Mathematik?“ mithilfe von DALL-E erstellt. Diesen und auch viele andere Vorträge findet man als Videos auf der Homepage von TUForMath.
tuwien.at/tuformath/