Die Klima-Heroes
aus dem Hörsaal
Wenn es um den Klimawandel geht, haben Studierende Vorbildfunktion. Denn sie leben meist nicht auf großem Fuß und hinterlassen daher im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen auch einen kleineren CO2-Abdruck. Was Millennials und Gen Z sonst noch zum Kampf gegen die Erderwärmung beitragen (können) und was deine Karriere damit zu tun hat? Erzählen Lara, Nemanja und Carla.
Die Klimakrise ist eines der herausforderndsten Ereignisse in der Menschheitsgeschichte. Sie wirkt sich sowohl auf unser tägliches Leben und den sozialen Frieden als auch die geopolitische Weltordnung aus. Viel Zeit bleibt nicht mehr, um aktiv zu werden. Der Jugend ist das bewusst, schließlich geht es um ihre Zukunft. Ob „Fridays for Future“ oder „Die letzte Generation“: Lautstark machen Schüler*innen und Student*innen auf die globale Erwärmung aufmerksam – sei es mit Demonstrationen, Streiks oder Straßenblockaden, indem sie sich am Asphalt festkleben oder weltberühmte Gemälde in Museen vollschmieren.
Neue Generation, andere Werte
Sind die Jungen Klima-Heroes oder doch -Terrorist*innen? Die Meinungen dazu sind gespalten. Während einige diese Form von Protest für extrem notwendig befinden, schütteln andere nicht nur über die Wahl der Mittel den Kopf. Historisch gesehen passiert es nicht zum ersten Mal, dass die Ansichten von Generationen aufeinanderprallen, weil sie unterschiedliche Werte bzw. Prioritäten haben. Für eine Studie hat das Pew Research Center 13.749 erwachsene Personen in den USA dazu befragt, wie sie die Themen Klima, Energiewende und Umweltprobleme wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem Millennials (Jahrgang 1981 bis 1996) und Gen Z (geboren nach 1996) sich – im Vergleich zu den Babyboomern (Jahrgang 1946 bis 1964) und der Generation X (geboren zwischen 1965 und 1980) – überdurchschnittlich viel mit diesen Themen auseinandersetzen und sie als Priorität einstufen.
Nemanja (26) hat Technische Mathematik stu-
diert und arbeitet jetzt als Unternehmensberater.
Er hofft, mit seinem Know-how Nachhaltigkeits-
bestrebungen nicht nur privat, sondern auch be-
ruflich vorantreiben zu können.
Foto: ©Lukas Illgner
Die Berufswahl als Hebel für Veränderung
Diese Werteverschiebung wirkt sich natürlich auf Zukunftsentscheidungen aus. Im privaten Bereich, aber vor allem auch bei der Karriereplanung. Gerade dort haben junge Menschen einen der größten Hebel in der Hand, um dem Klimawandel entgegenzutreten.
„Arbeitet nicht für Klima-Zerstörer!“ So drastisch drückte sich UN-Generalsekretär António Guterres im Juni 2022 in einer Rede vor den Absolvent*innen der Seton Hall University in New Jersey, USA, aus. Er appellierte an die Student*innen, ihre Talente und ihr erworbenes Wissen zu nützen, um die Gesellschaft in eine erneuerbare Zukunft zu führen. Sie hätten nun die Karten in der Hand, um eine Botschaft an klimaschädliche Unternehmen zu senden, indem sie sich nicht von diesen einstellen ließen. Gerade bei der Berufswahl hätten Absolvent*innen die Chance, zur Veränderung beizutragen und eine nachhaltigere Welt zu schaffen. Berufseinsteiger*innen sollten die Corporate Social Responsibility (CSR) potenzieller Arbeitgeber*innen im Fokus haben und darauf achten, wie nachhaltig oder klimaneutral gewirtschaftet wird. Das verdiente Geld wiederum könnte dann in nachhaltig und ethisch handelnde Unternehmen gesteckt werden – ob an der Börse oder beim Einkaufen.
Die Uni als Gamechanger
Die Grundlage für diese Zukunftsentscheidungen werden bereits in der Ausbildung gelegt und die an der Uni gesammelten Erfahrungen damit zum Gamechanger. An der TU jedenfalls zieht sich das Thema Klimawandel durch die gesamte Lehre hindurch. „Klimawandel ist das einzige Forschungsfeld, das von allen TU-Fakultäten bearbeitet wird – von der Architektur bis zur Mathematik“, erklärt Rektorin Sabine Seidler. „Die Erkenntnisse unserer Forscher*innen schaffen das Wissen, das die Grundlagen für evidenzbasierte politische Entscheidungsfindungen liefert und so zu gesellschaftlichen Veränderungen beiträgt.“
Der 26-jährige Nemanja hat kürzlich sein Studium in Technischer Mathematik mit Schwerpunkt auf Angewandte Mathematik abgeschlossen und arbeitet seither als Unternehmensberater. Er beschäftigt sich viel mit der Klimathematik, betrachtet sie aber aus einer technischeren Perspektive. „Seitens der Politik kommt nicht viel. Ich finde, wir und damit auch die Weiterentwicklung der Klimakrise sind dadurch sehr stark von den Fortschritten der Technologie abhängig. Wie zum Beispiel: Wie können wir bessere, nachhaltigere Energieversorgung garantieren?“
Auch in Nemanjas Studium kam Klimawandel vor, wenn auch eher indirekt – „wenn wir ein Beispiel rechnen mussten“, sagt er.
Das eigene Know-how einsetzen
Nemanja hofft und versucht durch sein erworbenes Know-how einen Beitrag zu leisten, um Nachhaltigkeitsbestrebungen voranzutreiben. „Ich bin noch am Anfang meiner beruflichen Karriere. Aber für die Zukunft wünsche ich mir, in einem Beruf zu arbeiten, der auf irgendeine Art zur Besserung eines Problems beiträgt. Egal, ob es um das Klima, Armut oder andere soziale Missstände geht“, erklärt der junge Wiener.
„Am meisten beeinflusst und
inspiriert hat mich der Austausch mit meinen Kommiliton*innen. Ich hatte die Chance, mich mit Menschen aus verschiedensten sozialen und kulturellen Umfeldern auszutauschen und ihre Perspektiven zu verstehen.“
Carla (31) macht gerade ihr Doktoratsstudium in Architektur. Sie glaubt, dass Studierende (Best) Practices in Bezug auf eine nachhaltige Lebensweise auch in die Lebensphase nach
der Uni mitnehmen.
Foto: Privat
So sieht das auch Lara. Aktuell studiert die 22-Jährige Umweltingenieurswesen im Bachelor an der TU Wien. Sie weiß schon jetzt, auf was sie bei ihrem zukünftigen Job achten wird. „Später will ich mit gutem Wissen und Gewissen bei einer Firma arbeiten, von der ich weiß, dass dort CSR ernst genommen wird und nicht nur PR-Zwecken dient.“
Für viele junge Menschen gehört Umweltbewusstsein zum Alltag. Dementsprechend sind sie auch kritischer bei vermeintlichen Nachhaltigkeitsaktionen von Firmen, die sich als Greenwashing herausstellen. Ein bekanntes Beispiel für Greenwashing im großen Stil: die Papierstrohhalm-Aktion von McDonald‘s. Obwohl Plastik verbannt wurde, stellte sich heraus, dass die neuen Papierstrohhalm ebenfalls nicht recycelbar sind. Fazit: nur noch mehr Müll.
Heute für morgen lernen
Um Müll zu vermeiden, grüner zu leben und den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, setzen viele Studierende auf Nachhaltigkeit im Alltag. Vom saisonalen Einkaufen von Obst und Gemüse bis hin zum Verzicht auf das Auto in der Stadt – Nemanja hat seine Verhaltensweisen längst angepasst. Carla hat dasselbe Ziel. Die 31-Jährige macht gerade ihr Doktoratsstudium in Architektur und hat bis vor Kurzem und über ihre gesamte Studienlaufbahn hinweg in WGs gewohnt. „Das Wohnen in Wohnungen ist viel nachhaltiger. Und es macht aus städteplanerischer Sicht auch wenig Sinn, in einem Haus, also auf viel Raum für wenige Personen, zu leben.“
Ob Leben in der WG, terranes Reisen, der Kauf von Secondhand-Kleidung oder eine fleischlose Ernährung – oft wird Student*innen eine „gezwungene“ nachhaltige Lebensweise zugeschrieben, weil es das begrenzte Budget nicht anders zulässt. Carla argumentiert jedoch, dass die (Best) Practices aus der Studienzeit zu Parametern für die Zeit nach der Uni werden könnten und sollten. „Viele Kommiliton*innen können sich wahrscheinlich tatsächlich kein Auto leisten, während sie studieren. Ich glaube aber, die Erfahrung, wie gut alles mit den Öffis zu erreichen und bewältigen ist – vor allem in Wien mit einem ausgezeichneten Infrastrukturnetz –, macht auch für später die Idee, ein Auto zu besitzen, unattraktiv.“
Streitpunkt Kinderfrage
Nemanja betont aber auch, dass umweltbewusstes Handeln auch mit vielen Privilegien verbunden ist, die nicht allen zugänglich sind. „Zu Hause wurde über Nachhaltigkeit und Klimaschutz nie gesprochen. Meine Eltern hatten andere, für sie dringendere Themen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alle Personen die gleichen Ressourcen im Kampf gegen die Klimakrise haben. Nicht in Österreich und schon gar nicht im globalen Süden.“
Vor allem bei der Frage, wie vereinbar ein Kinderwunsch mit Nachhaltigkeit ist, gibt es so viele unterschiedliche Meinungen wie (nicht wahr gewordene) Versprechen von Politiker*innen, die Klimaziele einzuhalten. Eine Studie der Nachhaltigkeitsforscher Seth Wynes und Kimberly A. Nicholas, die 2017 für Aufsehen sorgte, legt nahe, dass der Verzicht auf Kinder eine plausible Klimaschutzmaßnahme ist. Sie hielten fest, dass sich unser CO2-Ausstoß nicht nur verringert, wenn wir auf Fleisch, Autofahren und Flugreisen, sondern vor allem auf das Kinderkriegen verzichten. 58,6 Tonnen CO2 pro Jahr würde jedes nicht geborene Kind einsparen, nicht Auto zu fahren hingegen nur 2,4 Tonnen.
„Die Erfahrung, wie gut alles mit den Öffis zu erreichen
ist, macht auch für später die Idee, ein Auto zu besitzen,
unattraktiv.“
Doktorandin Carla sagt daher auch: „Wir leben in so einer überbevölkerten Welt. Es wäre egoistisch, ein Kind in die Welt zu setzen. Die Ressourcen sind ohnehin schon ungleich verteilt.“ Lara und Nemanja halten die Kinderfrage hingegen für so persönlich, dass jedes Paar bzw. jede Person sie selbst treffen müsse. Sie finden, dass es zudem viel wichtiger sei, die wirklich zuständigen Personen noch mehr in die Verantwortung zu ziehen. „Ich möchte schon einmal Kinder haben – weil ich nach wie vor optimistisch bin, dass mit Technologie, richtiger Umweltpolitik, Bewusstseinsschaffung weitere Generationen noch gut leben können. Aber es muss sofort ein Umdenken passieren und gehandelt werden. Die Zeit rennt“, meint Lara.
Lara (22) studiert Umweltingenieurswesen im Bachelor. Sie möchte einen Job bei einer Firma, die Klimaschutz und soziale Verantwortung ernst nimmt.
Foto: Privat
Wut als Supertreibstoff
Eine der bislang umfangreichsten Studien zum Stimmungsbild junger Menschen bezüglich „Climate Anxiety“*, Vetrauensverlust in die Regierung und moralischen Fehltritten als ein globales Phänomen hat 10.000 Personen zwischen 16 und 25 Jahren in zehn Ländern auf unterschiedlichen Kontinenten befragt. Das Ergebnis: Für drei von vier jungen Menschen ist die Zukunft beängstigend, fast die Hälfte gab an, dass ihre Gefühle über den Klimawandel ihr tägliches Leben negativ beeinflussen. In einem Interview mit „Yale Environment“ bewertet die Co-Autorin der Studie Britt Wray die Ergebnisse zwar als unglaublich traurig, glaubt aber, dass die Verzweiflung über den Klimawandel in einen „Supertreibstoff“ umgewandelt werden kann, um positive Veränderungen zu bewirken.
„Wut kann enorm
motivierend sein.“
sagt sie. „Wenn sie auf einem echten Gefühl der Ungerechtigkeit beruht, zeigt sie, dass das Gewissen lebendig ist, dass das Gefühl, moralisch hintergangen zu werden, intakt ist.“
Den Anfang machen
Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei Lara, Nemanja und Carla ab. Sie sind wach und haben den Ernst der Lage erkannt. Gerade bei der Klimakrise werden der Tatendrang und der Wunsch nach Veränderung jedoch mitunter schnell vom Gedanken „Ich mache ja doch keinen Unterschied“ verdrängt. Eine Studie von Dentola und Kolleg*innen aus 2018 zeigt aber, dass der Wendepunkt relativ schnell erreicht ist, ab dem sich gesellschaftliche Normen ändern. Hinterfragt bereits ein Viertel der Bevölkerung kritisch den vorherrschenden Diskurs, reicht das, um den Rest der Bevölkerung davon zu überzeugen, dass neue (soziale) Konventionen nötig sind. Und hier kommt Studierenden aufgrund ihres Lebensstils und ihrer Zukunftsentscheidungen eine wichtige Funktion als Vorbild und treibende Kraft zu – nicht nur in puncto Klimaschutz.